Wie und warum du deine Energiegewinnungssysteme gezielt trainieren solltest
GPS Training? Was soll das denn sein? Laufen nach dem “Global Positioning System” aka Navi oder was? Nein. Es geht darum gezielt und strukturiert deine Energiegewinnungssysteme zu trainieren!
Bestimmt hast du schon einmal gehört, dass unser Körper seine Energie auf unterschiedliche Arten generieren kann. Es gibt drei Energiegewinnungswege, die je nach Intensität und Dauer der Belastung eine größere Rolle in der Bereitstellung der notwendigen Energie einnehmen.
Der anaerob alaktazide Energiegewinnungsweg nutzt vor allem das Kreatinphosphat das in unseren Muskeln gespeichert ist, um sehr kurzfristig Energie bereitzustellen. Das brauchst du beispielsweise bei Sprints oder 1 RM Lifts.
Der anaerob laktazide Energiegewinnungsweg ist für längere und dennoch intensive Belastungen da. Hierbei fällt das Nebenprodukt Laktat (Milchsäure) an. Der Körper zieht seine Energie aus Glycogen und dem Laktat. Wir sprechen hier daher auch vom glykolytischen Energiegewinnungsweg.
Der letzte Energiegewinnungsweg ist der aerobe. Hier wird unter der Zuhilfenahme von Sauerstoff Energie gewonnen. Daher auch das Synonym oxidativer Energiegewinnungsweg. Er dominiert bei langen, weniger intensiven Belastungen wie Ausdauerläufen.
Es wäre so schön easy, wenn man alle Energiegewinnungssysteme in ein starres Zeitfenster packen und gesondert trainieren könnte, oder? Aber dem ist nicht so. An jeder Bewegung sind grundsätzlich alle drei Varianten beteiligt. Je nach Dauer und Intensität ist jedoch einer der drei dominant! So können wir trotz paralleler Arbeit spezifische Reize setzen, um das gewünschte Trainingsziel zu erreichen.
Der heutige Artikel beschäftigt sich mit den drei Energiegewinnungssystemen und deren Training, das im Englischen den viel flotteren Namen Energy System Training, kurz EST, trägt. Vielleicht ist es mir auch nur sympathischer weil es unglaublich viel einfacher zu schreiben ist 🙂
GPS Training
Du hast oben schon gesehen, dass die Namen unserer einzelnen Energiegewinnungssysteme ziemlich sperrig sind.
„Was steht heute auf dem Programm?“ „Anaerob alaktazides Training!“ … da kommt wohl keine „Wow, geil!“ als Antwort, sondern eher fragende Blicke. OPEX Fitness hat erstmals Begriffe geprägt, die weitaus einfacher zu merken sind und direkt die Message rüber bringen welcher Trainingsstimulus erzielt werden soll. Für mich abgewandelt spreche ich daher lieber vom GPS Training: GAIN, PAIN und SUSTAIN.
GAIN
Gain bezeichnet den anaerob-alaktaziden Energiegewinnungsweg. Anaerob bedeutet, dass kein Sauerstoff genutzt wird während alaktazid bedeutet, dass kein Laktat produziert wird. Wie oben schon beschrieben wird stattdessen Kreatinphosphat aus deinen Muskeln, zur schnellsten Energiebereitstellung die wir haben, genutzt.
Gain nutzen wir für Sprints, 1 RM Lifts und generell im Bereich des Krafttrainings. Insbesondere wenn wir an dem Ziel arbeiten unsere absolute Kraft zu steigern (Maximalkrafttraining). Dieses Energiegewinnungssystem dominiert im Bereich von intensiven, kraftvollen aber kurzen Bewegungen im Bereich von 0-20 Sekunden.
Benefit von GAIN Training
Der hauptsächliche Benefit vom Training im GAIN Bereich ist die mechanische Adaption. Das kann zwei Dinge bedeutet. Einerseits kann GAIN Training in Hypertrophie (Muskelzuwachs) münden. Andererseits kann es deine motorische Kontrolle verbessern was dir eine höhere Bewegungseffizienz beschert. Weniger Energie für dieselbe Bewegung aufwenden klingt doch super, oder?
Für wen ist Gain Training geeignet?
Gain ist grundsätzlich für jeden, egal ob Beginner oder Fortgeschrittene geeignet. Wir befinden uns hier im Bereich des grundlegenden Krafttrainings und Kraft ist die Basis für alle weitere Bemühungen um deine umfassende Fitness auf- und auszubauen. Lediglich die Art und Weise, wie wir arbeiten unterscheidet sich je nach Trainingsstand und Erfahrung.
Anfänger sollten sich eher im Bereich der muskulären Ausdauer aufhalten. Sie arbeiten aufgrund weniger Bewegungserfahrung und -kompetenz weniger tief im zentralen Nervensystem (ZNS) und haben somit eine geringere Intensität als Fortgeschrittene. Dadurch können Anfänger schneller regenerieren und ihr Training als Ganzkörpertraining ansetzen. Das hauptsächliche Ziel für Neulinge ist mit geringerer Intensität vor allem die motorische Kontrolle zu verbessern. Dabei wollen wir vor allem errreichen, dass die Muskeln die an einer Bewegung beteiligt sind besser zusammenarbeiten. Auf Fachchinesisch: intermuskuläre Koordination.
Fortgeschrittene haben ein breiteres Spektrum. Sie können im Bereich der Kraftausdauer bis hin zu maximalen Kontraktionen arbeiten. Da ihr ZNS besser trainiert ist werden hier mehr Muskelfasern innerviert. Es ziehen sozusagen mehr kleine Helferlein an einem Strang! Wir sprechen dabei von einer höheren intramuskulären Koordination, also eine bessere Koordination innerhalb eines Muskels. Aufgrund dieser höheren ZNS Stimulation steigt auch die Intensität des Trainings. Und das lässt die Regenerationszeit für das beanspruchte Gewebe ansteigen. Fortgeschrittene sollten daher Splits fokussieren und können nicht ständig mit Ganzkörpertraining arbeiten.
PAIN
Der Begriff Pain bezeichnet das Training der glykolytischen Energiegewinnung. Das läuft anaerob laktazid ab, also noch immer ohne Sauerstoff aber unter Anhäufung von Laktat, das teilweise auch zur Energiebereitstellung genutzt wird. Wenn das Laktatlevel zu sehr ansteigt stehen wir dem Muskelversagen gegenüber. Das bedeutet, dass der Stoffwechsel im jeweils arbeitenden Gewebe „dicht macht“. Kommen nicht mehr ausreichend Nährstoffe rein und raus versagt der Muskel deinem Gehirn den Gehorsam. Auch wenn du noch einen Rep machen willst wird das einfach nichts.
Du hast es fast vermutet: Pain Training ist eher schmerzhaft. Es beschreibt das Training mit nicht durchhaltbarer, hoher Intensität im Bereich von 30 Sekunden bis 4 Minuten. Je kürzer die Belastungszeit desto höher ist die Power die du darin entwickeln kannst. Pain Training startet somit im Power Bereich (anaerob laktazide Power, kurz AnLP) und gleitet dann in die anaerob-laktazide Ausdauer /Endurance (AnLE) . Dieser sperrige Begriff bezeichnet deine Fähigkeit unter der Anhäufung von Laktat diese nicht durchhaltbare Intensität doch möglichst lange aufrecht zu erhalten.
Es ist unbedingt notwendig, dass du eine solide Basis im Bereich Gain geschaffen hast, um in Pain überhaupt trainieren zu können. Erstens haben wir gelernt, dass du in Gain lernst dich effizienter zu bewegen und mehr Muskelfasern zu rekrutieren. Zweitens ist eine größere Kraftbasis natürlich Voraussetzung auch in längeren Workouts ein höheres Gewicht zu bewegen und somit die Intensität zu erhöhen.
Das kann natürlich nicht alles auf einmal passieren, sondern sollte progressiv aufeinander aufbauen. Das Prinzip der Superkompensation zählt auch hier!
Das Bild unten veranschaulicht einen progressiven Aufbau verschiedener Trainingszyklen.
Das Ziel des GPS Training und somit des EST (Energy System Training) ist es deine Leistungsgrenze langfristig zu erhöhen. Im unten stehenden Bild siehst du 3 verschiedene Athletentypen im Pain Beispiel.
Athlet 1 trifft sehr früh seine Leistungsgrenze und fällt dann rapide ab. Er kann seine Leistung nicht aufrecht erhalten. Auf Sprint spezialisierte Athleten finden wir oft hier.
Typ 2 trifft seine Grenze etwas später, fällt langsamer aber nicht so drastisch ab und schafft es noch irgendwie sein Training oder seinen Wettkampf mit viel “Beißen” zu Ende zu bringen.
Typ 3 trifft ebenfalls seine Grenze, nimmt etwas Tempo raus und schafft es noch während der Belastung etwas mehr zu regenerieren und wieder einen neuen Kraftschub zu erlangen.
Ein sinnvoll aufgebautes Training hilft dir dich von Typ 1 zu Typ 3 zu entwickeln. Wenn du direkt versuchst Typ3-spezifische Workouts zu “ballern” wird der Erfolg minimal sein.
Benefits von PAIN Training
Für das Pain Training gibt es drei hauptsächliche Benefits.
- die hohe Intensität führt zu einem hohen Stress. Dein Körper lernt so sich an das entsprechend hohe Stresslevel anzupassen (hohe Stressadaption)und trotzdem eine hohe Leistung abzuliefern. Das ist vor allem interessant für alle, die unter höchst stressigen Bedingungen gut performen müssen. Ich denke da nicht nur an Elite-Athleten sondern auch und vor allem an Einsatzkräfte wie Polizisten, Soldaten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter, Krankenhauspersonal im OP usw.
Da unser Körper körperliche und geistige Stresslevel nicht unterscheidet kann es dir auch in einem stressigen „kopflastigen“ Job weiterhelfen. - Pain Training impliziert eine hohe metabolische Reaktion. Dein Stoffwechsel läuft dabei und im Anschluss auf Hochtouren. Das ist eine gute Sache. Vor allem da viele von uns nicht nur performen sondern auch nackt gut aussehen wollen. Aber Vorsicht! Langfristig ist diese hohe metabolische Reaktion von Pain nur ein Vorteil, wenn du nicht ins Übertraining gerätst. Dafür sollte dein Trainingsprogramm ausgeglichen sein. „Nur Ballern bringt’s!“ ist der falsche Weg!
- Ein ausgeprägtes Pain System kann in den Grenzbereichen als Booster für das darunter liegende Gain sowie das darüber liegende Sustain sein. Wenn dein glykolitisches Energiegewinnungssystem gut trainiert ist, dann kannst du bspw auch nach einem Marathon noch einen guten Schlusssprint hinlegen (Boost des aeroben Systems) oder eine Bewegung im Bereich des Gain ein wenig länger aufrecht erhalten (Boost des CP-Systems).
Für wen ist Pain Training geeignet?
Pain Training ist nicht für jeden Alltagsathleten und Desktop-Warrior geeignet sondern für Fortgeschrittene oder auch Fitnessbreitensportler, die ein ausreichend hohes Kraftlevel an den Tag legen.
Denn für Pain Training müssen wir Power entwickeln. Die definiert sich als aufgebrachte Kraft über einen bestimmten Zeitansatz; Power = Kraft/Zeit. Wer also ein höheres Kraftlevel besitzt kann in derselben Zeit mehr Power generieren. Genauso kannst du mehr Power entwickeln wenn du den gleichen Kraftaufwand schneller generierst. Inter-und intramuskuläre Koordination sind da dein Stichwort. Gain ist also die notwendige Grundlage.
Um festzustellen, ob Pain Training für dich sinnvoll ist muss daher ein Assessment gemacht werden, um sicherzustellen, dass du ein ausreichend hohes Kraftlevel und eine gute Bewegungsqualität hast. Gerade im Pain Bereich wirst du mit zunehmender Intensität weniger an deine Bewegungsqualität denken. Hast du keine solide Grundlage hier wirst du nur Kompensationsmuster entwickeln, die dich auf keinen Fall zu einer langfristigen und gesunden Fitness führen. Und auch zu keinem hohen Performance Level!
Das Bild unten veranschaulicht nochmal, dass vielleicht beide Athleten (A1 und A2) dasselbe Ziel B haben, aber von anderen Ausgangspunkten starten. Der Weg dahin kann also nicht derselbe sein.
SUSTAIN
Sustain beschriebt die aerobe Energiegewinnung, die unter Zuhilfenahme von Sauerstoff und Fett auch als oxidativer Energiegewinnungsweg bezeichnet wird. Charakteristisch ist hier eine geringere Intensität und lange Dauer. Oft wird das auch als LSD work bezeichnet: Long slow distance. Genauso einprägsam wie GPS Training, oder?
Sustain Training kann entweder monostrukturell ablaufen oder polystrukturell.
Monostrukturelle bedeutet, dass wir zyklische Bewegungen ausführen, die sich ständig wiederholen. Denk dabei an Laufen, Rudern, Rad Fahren und Co. Dabei ist in aller Regel nur eine Bewegungsebene gefordert.
Polystrukturell bedeutet, dass mehrere Bewegungsebenen gefordert sind. Hier ist Platz für komplexere Bewegungen und WODs, denn auch mit denen kannst du dein Sustain System trainieren. Es kommt lediglich darauf an, dass deine Anstrengungen wiederholbar sind. Die Intensität macht hier die Musik.
Ob du nun 5x 2000m rennst und dabei bei jedem Satz dieselbe Zeit laufen kannst oder ob du 5 Sätze eines Fitness Workouts machst, in denen du jeweils dieselben Ergebnisse erzielst ist dabei egal.
Es empfiehlt sich jedoch beide Varianten auszuführen. Oft liegt unsere Konzentration beim polystrukturellen Training ein wenig woanders, da wir uns auch auf die Ausführung komplexerer Bewegungen konzentrieren müssen. Im monostrukturellen Ansatz kannst du dich hingegen voll darauf konzentrieren, dass du die entsprechende Intensität penibel einhältst.
Das Ziel des Sustain Trainings ist ein durchhaltbarer Power-Output, den du über die interset und intraset Wiederholbarkeit misst.
Interset bedeutet, dass du, wie oben beschrieben, mehrere Sätze von derselben Anstrengung wiederholst und vergleichst ob du immer zum selben Ergebnis kommst.
Intraset ist der Vergleich innerhalb eines Satzes. Das nutzen wir, wenn du ein langes Workout ausführst statt mehrerer kleiner Sätze.
Hast du beispielsweise 45 Min AMRAP
200m rudern
40 Kettlebell Swings
400m Laufen
Dann trackst du deine Rundenzeiten und hast so innerhalb eines langen Workouts deine Vergleichbarkeit gegeben.
Benefits von Sustain Training und für wen ist es geeignet?
Sustain Training verbessert deine Ausdauerfähigkeit. Selbst der größte Antisportler hat schonmal gehört, dass das vorteilhaft für jeden ist. Du denkst, dass du deine Gains verlierst, wenn du auch deine Ausdauer trainierst? Falsch gedacht.
Eine bessere Ausdauerleistungsfähigkeit verbessert dein Herz-Kreislauf-System, sorgt für eine bessere Nährstoffversorgung deines Körpers und eine schnellere Regenerationsfähigkeit, um nur ein paar der Wichtigsten Vorteile zu nennen.
Wenn du also mehr Nährstoffe in die Muskulatur kriegst weil der Blutfluss verbessert wurde und du somit schneller regenerierst, dann kannst du auch schneller wieder einen neuen (Gain)Trainingsreiz setzen.
Fazit: Intensität musst du dir verdienen!
Dieser Artikel hat die drei Energiegewinnungswege und mögliche Trainingsvarianten aufgezeigt. Wenn du nur eines aus dieser Lektüre mitnimmst, dann am besten das:
Intensität musst du dir verdienen.
Es ergibt keinen Sinn ohne eine gute Basis irgendwo in der Mitte unseres Kontinuums einzusteigen und einfach nur zu „ballern“!
Setze auf eine sinnvolle Progression, lerne welche Gänge deine Gangschaltung hergibt und für welchen Task du welchen Gang einlegen kannst oder solltest. So wirst du langfristig gesünder bleiben und deine Leistung effizient steigern.
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